Es dauerte wenige Augenblicke nachdem die ersten Meldungen über den Absturz der Malaysia Airlines Flug MH17 über der Ostukraine bekannt wurden, bis auch die ersten gegenseitigen Schuldzuweisungen folgten. Unterstützer der ukrainischen Regierung unterstellten prorussischen Separatisten, aus Versehen die Boeing 777 abgeschossen zu haben, währenddessen die Rebellen behaupteten, nicht einmal über die nötigen Waffen zu verfügen, die ein Flugzeug in zehn Kilometer Höhe erreichen könnten.
Wenn Täter für das Unglück eindeutig identifiziert werden, würde es eine völlig neue Auffassung des Ukraine-Konflikts in der internationalen Öffentlichkeit bedeuten. Die Regierung in Kiew bezeichnet die Rebellen schon lange als Terroristen, die mit neuester russischer Technik einen Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden führen. Für Russland hingegen würde es der endgültige Beweis sein, dass die prowestlichen Machthaber einen unberechenbaren gescheiterten Staat regieren.
“Nun wird ein Konflikt internationalisiert, der bisher als eine interne Angelegenheit der Ukraine dargestellt wurde,” sagte Adrian Karatnycky, Senior Fellow beim Atlantic Council in Washington. “Jetzt sind die USA, Europa und Asien mit eingezogen. Das ist Putins Lockerbie.” In dem Bombenanschlag 1988 auf eine Pan-Am-Maschine über dem schottischen Lockerbie kamen 270 Menschen ums Leben. Wer hinter dem Anschlag steckt, ist bis heute nicht bewiesen.
Separatisten verweisen auf zu schlechte Ausrüstung
Konstantin Grischtschenko, Außenminister in der Regierung vom gestürzten Präsident Viktor Janukowitsch, verglich den Absturz des malaysischen Flugzeugs mit dem Abschuss eines südkoreanischen Jumbo-Jets durch die sowjetische Luftwaffe 1983. “Damals wurde Entsetzen in der ganzen Welt ausgelöst, vor allem in Europa und den USA,” sagt der Ex-Diplomat. “Wir hatten schon genug unwiderlegbare Beweise einer russischen Einmischung in den vergangenen zwei bis drei Monaten. Diejenigen, die ihre Augen lieber zudrückten, müssen sie jetzt öffnen.”
Die offizielle russische Regierungszeitung, die Rossijskaja Gaseta, veröffentlichte auf ihrer Website das Dementi des Separatistenführers Sergej Kavtaradse. Ihm zufolge beträgt die Reichweite der Flugabwehr seiner Kämpfer höchstens vier Kilometer. Verkehrsmaschinen fliegen jedoch deutlich höher. Die Zeitung berichtete auch, dass die ukrainischen Streitkräfte am Mittwoch Flugabwehrraketen des Typs Buk nach Donezk verlegt hätten.
Das Blatt erinnert auch an den Absturz einer Tupolew 154 über dem Schwarzen Meer 2001. Damals wurde das ukrainische Militär beschuldigt, während einer Übung die Maschine der russischen Fluggesellschaft Sibir abgeschossen zu haben. 78 Menschen starben.
Mehrere Abschüsse in jüngster Vergangenheit
In anderen russischen Medien kursierte die Meldung, dass das eigentliche Ziel der Rakete die Iljuschin von Präsident Wladimir Putin war. Seine Maschine und der Flug von Malaysia Airlines hätten sich über Polen gekreuzt.
In jüngster Zeit gab es bereits mehrere Abschüsse: In den vergangenen Tagen beklagten die ukrainischen Streitkräfte den Verlust von zwei Flugzeugen. Erst kurz vor dem Abschuss der malaysischen Maschine, meldeten die Rebellen, sie hätten in der Nähe der Stadt Tores – wo auch der Flug MH17 abstürzte – eine ukrainische Antonow 26 abgeschossen. Russischen Medien zufolge sollen die Separatisten ein Buk-Flugabwehrsystem erbeutet haben.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will nun eine Kommission einberufen, die mithilfe von Experten der ICAO, der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation, die Katastrophe untersucht. Auch in Russland wird man das Unglück wohl genau untersuchen: Die Separatisten wollen die Blackbox an Moskau überreichen.