Ukraine: Poroschenko hat nur wenige Optionen

Es ist kein Zufall, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Ende vergangener Woche eine einwöchige Waffenruhe im Kampf gegen prorussische Separatisten im Osten seines Landes ausgerufen hat: Am Freitag will er in Brüssel das Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben.

Poroschenkos Friedensinitiative ist nicht nur ein Zeichen des guten Willens gegenüber der EU, sondern auch ein Versuch, den Druck auf Wladimir Putin zu erhöhen. Die EU erwägt derzeit neue Wirtschaftssanktionen, wenn Russland seine Unterstützung für die Aufständischen in der Ukraine nicht beendet. Der Kreml, der eine Verbindung zu den Rebellen bestreitet, hat die Waffenruhe folglich mit Skepsis aufgenommen.

Poroschenkos neuer Außenminister Pavlo Klimkin – bis vor Kurzem ukrainischer Botschafter in Berlin – informiert am heutigen Montag seine EU-Amtskollegen in Luxemburg über die aktuelle Lage in der Ukraine.

Sie wird, wie jeder Konflikt, unterschiedlich interpretiert: Poroschenko hat gegenüber Angela Merkel am Sonntag in einem Telefongespräch davon gesprochen, dass Separatisten in den Regionen Donezk und Luhansk die Waffenruhe mehr als 20 Mal binnen 24 Stunden verletzt hätten. Das russische Staatsfernsehen hingegen berichtete, die ukrainischen Streitkräfte hätten am Wochenende den Beschuss der Aufständischen ununterbrochen fortgesetzt.

Poroschenkos Friedensplan, den die Bundesregierung als “maßgeblichen Baustein für eine politische Lösung” unterstützt, sieht eine Sicherung der ukrainisch-russischen Grenze vor – doch ob das möglich ist, ist unklar. Kurz vor Ausruf der Waffenruhe lieferte sich das ukrainische Militär mit den Separatisten schwere Gefechte in Grenznähe. Am Freitag behauptete der ukrainische Verteidigungsminister Mychajlo Kowal, die ukrainischen Streitkräfte hätten die Ostgrenze wieder unter ihrer Kontrolle und könnten den Nachschub aus Russland stoppen.

Über die Köpfe der Separatisten hinweg

Die sogenannte Anti-Terror-Operation der ukrainischen Regierung hat ohnehin ein Glaubwürdigkeitsproblem. Zum einen veröffentlichen Wladislaw Selesnjow, der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, und Innenminister Arsen Awakow Stellungnahmen dazu auf ihren persönlichen Facebook-Seiten. Was volksnah sein soll, wirkt oft unseriös. Zum anderen sind die Fakten nicht immer klar: Selesnjow berichtete am Donnerstag von 200 getöteten Aufständischen, am Tag danach sogar von 300. Außerdem wurde seit April bei der sogenannten Anti-Terror-Operation mehrmals die entscheidende aktive Phase ausgerufen – ohne dass es dabei dauerhaft erkennbare Erfolge gegeben hätte.

Nun versucht Poroschenko, die Initiative zu ergreifen. In seinem Friedensplan geht es um eine Amnestie für Separatisten, die keine “schweren Verbrechen” begangen haben; einen “humanitären Korridor” nach Russland, damit ausländische Kämpfer das Land verlassen können, eine Dezentralisierung des Landes und baldige Neuwahlen des Parlaments.

Ein vorläufiges Abkommen mit den Separatisten kann es nicht geben, weil Poroschenko es kategorisch ablehnt, mit “Terroristen” zu verhandeln. Allerdings haben die Separatisten der Kiewer Regierung gegenüber auch keine politischen Forderungen formuliert. Seit den hastig organisierten sogenannten Volksabstimmungen am 11. Mai – zu denen nicht einmal Russland Wahlbeobachter schickte – präsentieren sich die Donezker und Luhansker “Volksrepubliken” als unabhängige Staaten, die einen Anschluss an Russland wollen.

Die Separatisten reagierten am Montag auf Poroschenkos Initiative. Sie verkündeten im Raum Donezk eine Waffenruhe bis zum 27. Juni. Die Aufständischen in dem Gebiet würden als Reaktion auf den Friedensplan des Präsidenten nun ihrerseits das Feuer bis zu diesem Freitag einstellen. Das sagte der selbsternannte Ministerpräsident der von der Regierung in Kiew nicht anerkannten Volksrepublik Donezk, Alexander Borodaj, der Agentur Interfax zufolge. “Wir hoffen, dass während der Feuerpause Verhandlungen über eine Friedensregelung beginnen können”, sagte er. Donezk gilt als eine der wichtigsten Hochburgen der Separatisten.

Moskau hat kein Interesse am Ende des Konflikts

Ob Poroschenkos Versuch, über die Köpfe der Separatisten hinweg mit Russland zu verhandeln – vergangene Woche telefonierte er zweimal mit Putin–, Erfolg haben wird, ist zweifelhaft. Der Kreml besteht auf einem Dialog zwischen Kiew und den Aufständischen und distanziert sich von den Kampfhandlungen. Wie bei den Genfer Gesprächen im April nutzt Russland aber zugleich seine nebulösen Verbindungen zu den Rebellen, um seinen Einfluss in der Region zu sichern. Während Poroschenko eine Waffenruhe ankündigte, ließ Russland Tausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren – als “Sicherheitsmaßnahme”, wie es hieß.

Moskau hat kein Interesse daran, dass die Auseinandersetzungen bald ein Ende haben. Denn, so das Kalkül, der Konflikt mit den Separatisten wird Poroschenko lange Zeit beschäftigen – und so womöglich von einer weiteren Westintegration seines Landes ablenken.

Gefährliche Dynamik

Die Separatisten und ihre Unterstützer in Russland hingegen wollen eine russische Militärintervention forcieren. Auch wenn ein umfassender Einmarsch russischer Truppen unwahrscheinlicher denn je erscheint, wächst mit jedem neuen Opfer im Osten der Ukraine die Gefahr, dass ein einst lokaler Aufstand eine Dynamik mit unvorhersehbaren Folgen entwickelt.

Taktisch hat Putin gegenüber den neuen Machthabern in Kiew bislang die Oberhand behalten, seit der Kreml-Verbündete und ukrainische Expräsident Viktor Janukowitsch im Februar durch die Maidan-Proteste ins russische Exil gezwungen wurde. Noch im vergangenen November hatte sich Janukowitsch nach Druck aus Moskau geweigert, das EU-Assoziationsabkommen zu unterschreiben und damit die Demonstrationen auf dem Maidan ausgelöst.

Dass Poroschenko jetzt seine Unterschrift unter den Assoziierungsvertrag setzt, wird Putin voraussichtlich nicht verhindern können. Doch solange es im Osten der Ukraine einen bewaffneten Konflikt gibt, ist eine weitere Annäherung an die EU ausgeschlossen.

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